Strafen
Erfurt 8"
Hannover: 14"
Schüsse
Erfurt 32
Hannover: 19
Tore
Erfurt: L. Mannes, S. Haarala (2x), M. Keil
Hannover: E. Lessard Aydin, B. Aubin
Zuschauer
904
TecArt Black Dragons besiegen als Tabellenletzter sensationell den Spitzenreiter der Oberliga Nord mit 4:2
Dem Krösus aus Hannover an Halloween das Gruseln gelehrt
Wenn sich der Krösus einer Mannschaftssportart mit dem Schlusslicht der Tabelle herumschlagen muss, ist die Konstellation in der Regel von zwei Gedankenwelten geprägt. Der Überflieger geht die Sache locker an, rechnet nur mit dem Punktzugewinn. Und unterschätzt den Gegner. Der Underdog und seine nimmermüden Fans wiederum haben insgeheim die vage Hoffnung, den Bock gerade gegen den Großen umzustoßen und diesem das Fürchten zu lehren, so scheinbar unmöglich das Vorhaben auch zu sein scheint. So die Ausgangslage am Freitag, vor dem Duell der TecArt Black Dragons als Tabellenschlusslicht und den Hannover Indians als Tabellenführer.
Genau zwischen diesen beiden Welten bewegte sich die Erwartungshaltung in der Kartoffelhalle bei den 904 Fans - darunter vielleicht 20 Hannoveraner, die den 250 Kilometertrip von der Leine an die Gera angetreten hatten - um die TecArt Black Dragons als Tabellenletzten und die Hannover Indians als souveränen Spitzenreiter, zu sehen. Was sollte da schon passieren? Wer so dachte, hatte freilich einen immens wichtigen Umstand ausgeblendet: Erfurt hatte nach dem 2:7-Desaster vom Sonntag gegen Herford bereits am Dienstag mit dem Projekt Wiedergutmachung begonnen und völlig überraschend beim Tabellenzweiten Leipzig mit 5:2 gewonnen. Die Indianer mit ihrem Cheftrainer Raphael Joly, der die Drachen vier Jahre lang unter seinen Fittichen hatte, hätten also gewarnt sein müssen.
Dass ihnen am Ende das Spiel trotzdem um die Ohren flog, hatte einen triftigen Grund. Eine Erfurter Mannschaft, die bis in die Haarspitzen motiviert und konzentriert diese scheinbar unlösbare Aufgabe anging. Was da 60 Minuten lang von den Drachen an Kampfkraft, Wucht und Entschlossenheit ins Spiel investiert wurde, hatte das Erfurter lange nicht mehr gesehen. Jeder ging in die Zweikämpfe, als gebe es kein Morgen, an der Bande wurde der Gegner gnadenlos bearbeitet und immer wieder wurde eine spielerische Lösung aus der Bedrängnis gesucht, statt den Puck einfach nur rauszuballern.
In Minute vier klackte bereits das Hannoveraner Torgestänge. Dem glänzend aufgelegten Miro Markkula fehlte am Ende nur eine Winzigkeit zum Jubeln. Kurz darauf: Nach einem schnellen Konter, eingeleitet von Brent Aubin, traf Emil-Ayvaz Lessard-Aydin zum 0:1(9.). Alles schien den erwarteten Verlauf zu nehmen. Aber nur 123 Sekunden später knackte das Trio Nils Herzog, Santeri Haarala und als Vollstrecker Lukas Mannes die Gästeabwehr im Feuerwehrtempo zum 1:1-Ausgleich. Hannover hatte mit bissigen und zu allem entschlossenen Drachen alle Schläger voll zu tun. Was dem Tabellenführer so gar nicht behagte. Markkula brachte die Gäste mehrfach zum Schwitzen und wenn es vor dem Kasten von Drachen-Goalie Justin Spiewok doch ungemütlich wurde, wuchs der 22-Jährige immer wieder über sich heraus. Mit 1:1 ging es unter tosendem Beifall zur ersten Pause in die Kabinen. Und die stille Hoffnung, hier für die nächste faustdicke Überraschung innerhalb einer Woche zu sorgen, sie hatte Nahrung bekommen.
Drittel zwei begann so, wie das erste geendet hatte. Zwei Teams im Vorwärtsgang. Mit höllischem Tempo und einem Drachen-Team, das nicht ansatzweise einen Unterschied zum Liga-Krösus erkennen ließ. Der Gegner aus den Niedersächsischen wurde bearbeitet und unter Druck gesetzt, dass sich das wenig erfolgsverwöhnte Drachen-Publikum erstaunt die Augen rieb. Und zusah, wie Santeri Haarala in der 36. Minute eine präzise Eingabe vor das Tor des ebenfalls glänzend haltenden Timo Herden um Haaresbreite verpasste. Torlos ging es in die zweite Pause. Und das Vorhaben der Gastgeber, die Partie möglichst lange offen zu halten, es hatte bis dahin funktioniert.
Aber es wurde im dramatischen Schlussdurchgang noch viel besser. Die Drachen befolgten die Anweisung von Trainer Sebastian Wolsch, sich diszipliniert zu zeigen und sich von der Strafbank fernzuhalten. Hannover indes musste in der 44. Minute ganz und gar 43 Sekunden mit zwei Mann weniger auskommen. Folgenlos, weil das Einzige, was man an diesem rasanten Erfurter Auftritt hätte bekritteln können, die schlechte Überzahlbilanz war. Sechs Mal gelang es nicht, Kapital aus der numerischen Überlegenheit zu schlagen. Der Lohn in diesem fulminanten Spiel sollte aber nicht länger auf sich warten lassen.
48. Minute. Enzo Herrschaft und Santeri Haarala lieferten ein Musterbeispiel für eiskalte Kooperation und der kleine Finne machte seinem Goldhelm alle Ehre und belohnte sein aufopferungsvoll kämpfendes Team mit der 2:1-Führung. Die allerdings nur 84 Sekunden hielt. Tom Banach musste in die Kühlbox und prompt nutzte der Favorit diesen Umstand mit einem Gewaltschuss von Brent Aubin zum Ausgleich. Konsequentes Überzahlspiel als Anschauungsunterricht. Schock? Ach was.
Die Drachen - angetrieben vom nun frenetisch mitgehenden Publikum - gaben weiter Gas. Der Indians-Torwart war in der Schlussphase ein gut beschäftigter Mann. Hatte aber in der 56. Minute dann keine Chance. Fritz Denner setzte sich an der rechten Bande in der Manier eines Stiers gegen seinen Kontrahenten durch. Scharfer Pass nach innen, wo Maurice Keil den Schläger präzise positioniert hatte - 3:2. Der alten Kartoffelhalle drohte das Dach wegzufliegen. Aber jeder wusste, was jetzt kommen würde. Eine bedingungslose Schlussoffensive der Hannover Indians. Und dann auch noch das: 2-Minuten-Strafe für Jakob Niklas. Au Backe. Aber das Wolsch-Team hielt sich den Gegner mit allem, was es aufzubieten hatte, vom Halse.
Die ganze Halle brüllt „Erfurt“. Und das hilft. 40 Sekunden vor dem Ende opfert Hannover seinen Torwart für einen sechsten Feldspieler. Sieben Sekunden später nimmt die Sensation von Erfurt ihren Lauf. Routinier Eric Wunderlich riecht den Braten, unterbindet einen Pass der Indians, zirkelt den Puck zu Santeri Haarala. Und was macht dieser kleine Teufelskerl? Er bugsiert die Scheibe hinweg übers ganze Spielfeld ins verwaiste Gästetor. Ein Orkan bricht los und jeder in der Halle umarmt und küsst alles, was in der Nähe steht. Die Sensation ist perfekt. Erfurt düpiert den bis dato souveränen Spitzenreiter der Oberliga Nord, der bislang kein Match in der regulären Spielzeit verloren hatte. Völlig verdient. Liest man nämlich die Shortmap, die die Schussversuche aufs Tor akribisch auflistet, steht dort am Ende ein 32:19 für die TecArt Black Dragons. Unglaublich. Dem Favoriten wurde respektlos der Schneid abgekauft, mit Tugenden, die man so in der Saison gern noch öfter sehen würde.
Indians-Trainer Raphael Joly war restlos bedient, verschwand sofort in der Kabine, während das Drachen-Publikum beseelt „Oh wie ist das schön“ intonierte. Der Holländer warf seinen Cracks vor, im Gegensatz zu den Erfurter nicht als Mannschaft aufgetreten zu sein. Dabei habe er vor dem Spiel noch vor Arroganzanfällen gewarnt. Drachen-Trainer Sebastian Wolsch hatte sein Team, wie er versicherte, auf Kampf, Kampf, Kampf eingeschworen. Nach dem Herford-Desaster habe er viele Gespräche mit seinen Jungs geführt. Das Spiel sei wohl eine „Menthalitätsgeschichte“ gewesen. „Man muss bereit sein dafür“, so Wolsch. Seine Jungs waren es. In Leipzig habe man damit angefangen, seine Vorgabe umzusetzen. Und gegen Hannover konsequent fortgeführt.
Die Erfurter könnten nun dem Ganzen die Krone aufsetzen. Am Sonntag um 16 Uhr beim Uralt-Rivalen, den Saale Bulls aus Halle. Die nun, nach dem Überraschungscoup der Drachen, plötzlich Tabellennachbarn sind. Denn Erfurt kletterte vom Tabellenende nämlich zwei Plätze nach oben.
Michael Keller
letzte Änderung: 01.11.2025